Kybernetische Fabeln Virtuoser Autor Lem

Johannes Frankfurter, Neue Zeit, Februar 1984

Die Lemologen aller Galaxien sind wieder einmal neue, interessante, spannende Aufgaben gestellt: Sie werden ihre kybernetischen Maschinen und hypothetischen Roboter in nächster Zeit vor allem mit Fragen und Problemstellungen aus dem Reich der Fabeln und Märchen füttern. Denn unu hat sich das Phaenomen "Lem" offensichtlich auch auf diese Bereiche ausgedehnt (...).

Schon die Titel so mancher der Geschichten sprechen fuer sich: "Die vierte Reise oder Wie Trurl ein Femmefatalotron baute um Prinz Bellamor von Liebesqualen zu erlösen und wie es danach zum Babyboombardement kam". Oder: "Altruizin oder Der wahre Bericht darüber, wie der Eremit Bonhomius das universelle Glück im Kosmos schaffen wollte und was dabei heraus kam".  Schon allein die Virtuosität, mit der Lem (und wohl auch seine Übersetzer) die Wissenschaftssprache, die Fülle der Fremdworte darin zu einem ironisch-poetischen Ereignis macht, ist höchst amüsant.  Das er dabei immer wieder eines seiner Hauptthemen anschlaegt, es bei aller Ironie und Fabulierlust eigentlich tödlich bis todernst meint, das gibt diesen Erzählungen erst jenen Tiefgang und jene Dimension, die sie weit über alles (halbwegs) Vergleichbare aus dem Science-Fiction-Bereich hinausheben (...).

Von den Drachen der Wahrscheinlichkeit

Trurl und Klapaucius waren Schüler des großen Kerebron Emtadrat, der siebenundvierzig Jahre in der Neantischen Hochschule die allgemeine Drachentheorie gelehrt hatte. Bekanntlich gibt es keine Drachen. Einem simplen Verstand mag diese primitive Feststellung vielleicht genügen, nicht aber der Wissenschaft, denn die Neantische Hochschule befaßt sich überhaupt nicht mit dem, was existiert; die Banalität der Existenz ist längst erwiesen, als daß man auch nur ein Wort darüber verlieren sollte. So entdeckte der geniale Kerebron, der mit exakten Methoden dem Problem zu Leibe ging, drei Arten von Drachen: Nulldrachen, imaginäre und negative Drachen. Es existieren, wie gesagt, alle nicht, aber jede Gattung auf eine besondere und grundverschiedene Weise. Die imaginären und die Nulldrachen, Einbilder und Nuller von Fachleuten genannt, existieren auf eine viel weniger interessante Weise nicht als die negativen Drachen. In der Drakologie war seit langem ein Paradoxon bekannt, das darin bestand, daß, wenn zwei negative Drachen herborisiert wurden (eine Aktion, die in der Drachenalgebra etwa der Multiplikation in der üblichen Arithmetik entspricht), als Resultat ein Minidrachen in der Menge 0,6 entsteht.