Als Kind wurde ich von meinem Vater mit Spielzeug überhäuft. Was nicht weiter verwunderlich gewesen wäre, hätte mein Vater nicht schon Jahre vor meiner Geburt angefangen Spielsachen zu kaufen. Während eines Russlandaufenthaltes in den Sechzigerjahren kaufte er zum Beispiel ein Modellflugzeug und setzte es im Hotelzimmer zusammen. Weil er es aber, aufgrund der beachtlichen Maße, nicht mitnehmen konnte, schenkte er es kurzerhand einem Schriftstellerkollegen, mit dem er das Zimmer teilte und der noch etwas länger in Moskau blieb. Als ich größer wurde, beklagte er sich, dass sein Sohn nicht mit dem von ihm gekauften Spielzeug spiele. Von da an kaufte er nicht mehr so viel, sah er aber ein besonders schönes Modell, ein Schiff oder eine Dampflokomotive, konnte er einfach nicht widerstehen.

Meine Besuche bei meinem Vater begannen mit der immergleichen Frage: „Papa, hast du Zeit?“ Meistens hatte er Zeit für mich. Wir beschäftigten uns mit Geophysik (Vater zeichnete Vulkane), schauten uns Anatomieatlanten oder Sternkarten an und sprachen viel über die Planeten, deren Namen ich schon auswendig kannte, bevor ich zur Schule ging. Vater ließ meine Vermutung, dass die Saturnringe sich immer langsamer drehen, unkommentiert, obwohl es ihn einiges an Selbstbeherrschung gekostet haben musste, angesichts einer derart schändlichen Missachtung der grundlegenden Gesetze der Mechanik zu schweigen. Eigens für mich projektierte er ein Fahrzeug, das von Hunden und Katzen (statt von einem Motor) angetrieben wurde. Dessen weiterentwickeltes Modell hatte einen zusätzlichen Hund und eine Rückwärtsgangkatze. Beide Fahrzeuge blieben natürlich „Reißbrettentwürfe“; das Maß aller väterlichen Hingabe hingegen war das von ihm entwickelte, mit einer kleinen Kurbel angetriebene Modell einer Seilbahn, die eine Zeitlang zwischen dem Nachttisch und dem Bücherregal hin- und hergondelte, diagonal durch das Arbeitszimmer, fast unmittelbar über den Schreibtisch.

Die Zuteilung von süßen Rationen – genauer gesagt von Marzipanbrot – wurde von einem besonderen Ritual begleitet. Vater öffnete den Schrank, nahm ein Taschenmesser heraus, rieb die Klinge an einem Taschentuch ab, wickelte dann still und konzentriert ein Stück Marzipan aus dem Papier und schnitt zwei Portionen ab – eine für mich und eine für sich. Nach einer kurzen behaglichen Stille, in der Vater seinen Gedanken nachhing, fegte er mit einer schwungvollen Bewegung die Krümel in die Ritze unter der Klappe – mit der Zeit häufte sich dort einiges an. Diese Marzipanfestessen fanden in einer konspirativen Atmosphäre statt, da uns beiden klar war – obwohl darüber nie gesprochen wurde –, dass Mutter von der Art, wie wir uns der Krümel entledigten, nicht begeistert gewesen wäre, und auch die Art, das Taschenmesser zu reinigen, nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen wäre.
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Als Knirps sah ich Vater oft bei der Morgentoilette in seinem Zimmer zu. Das Rasieren mit einer elektrischen Remington, bei dem sich der Duft des Eau de Toilette Old Spice Pre-Electric im Raum ausbreitete, wurde von verschiedenen Musikstücken begleitet. Er selbst sang nicht nur häufig, sondern hörte auch gerne – ungeachtet seiner wiederholten Beteuerung, er sei „stocktaub“ – klassische Musik, insbesondere die Sinfonien Beethovens, Jazz, vor allem das Duett Louis Armstrong und Ella Fitzgerald, das Kabarett Starszych Panów (das Lied Ich verfluche dich) sowie einige Songs der Beatles aus dem Film Yellow Submarine.

Zu seinem Repertoire, das er nach dem Rasieren sang, gehörten ukrainische Volkslieder: vom Mädchen, das den Geliebten bespuckt, weil er sie nicht so anschaut, wie es sich gehört, vom Liebsten, den die Cholera als Einzigen im Dorf verschont, oder von einem anderen Mädchen, das den Geliebten ausgräbt, um ihn vor der Wiederbestattung einer gründlichen Reinigung zu unterziehen. Die Melodie, die die Waschung des Toten beschreibt, war ungewöhnlich leichtfüßig und fröhlich.

Das sowjetische Ja takoi drugoi strany nie snaju, gde tak wolno dyschit tschelowek , ergänzte das Lemberger Liedgut, das mit sanftem Bariton und Lemberger Akzent gesungen wurde (...)

Hoch im Kurs stand die Bettelballade von Makary (Es war ein Kerl namens Makary // Gefräßig man glaubt es kaum), der der armen Witwe und dem Kind nicht helfen will, sich überfrisst und platzt. Vater trug das Stück mit großem Engagement vor, gelegentlich von Lachen unterbrochen.
Im Lied von den Ulanen Wenn er mich liebgewänne // Wehren würde ich mich nicht // Auf dass er mich mitnehme, fort von hier sang er die Partie des Mädchens, ohne das Rasieren zu unterbrechen, im Diskant.

Zu seinen morgendlichen Standards gehörte auch eine Komposition über das Fräulein Franciszka, das sich zusammen mit dem von den Eltern abgewiesenen Heiratskandidaten umbringt und dazu mit Strychnin versetzte Wurst benutzt, was naheliegt, da der Vater des Fräuleins Fleischer ist.
Die französischen und englischen Lieder schienen direkt aus dem Kanon des Jazz zustammen. Lange Zeit war ich überzeugt, dass es Jazz-Standards aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren waren, die aus unbekannten Gründen nicht im Radio gespielt wurden. Indessen war zumindest eines dieser Stücke wahrscheinlich eine eigene Vertonung von Robert Burns Fond Kiss (...)

Nach Abschluss der Morgentoilette und des Konzerts spielten wir manchmal mit einer künstlichen Fliege, in der ein Metallplättchen versteckt war. Man legte sie auf ein Blatt Papier und belebte sie mit einem Magnet. Man konnte auch Eisenspäne auf das Blatt streuen und beobachten, wie sie „aufstanden“, wenn man unter das Papier einen Magnet hielt, oder die Magnetfeldlinien betrachten, die von einem Stabmagnet hervorgerufen wurden. Fast täglich überprüften wir mit einem Kompass, ob Norden dort war, wo es am Tag zuvor gewesen war, und verifizierten anschließend das Ergebnis mit Hilfe eines anderen Kompasses. Das grüne Tuch auf dem Schreibtisch eignete sich, waren alle Typoskripte und Bücher weggeräumt, hervorragend zum Flohhüpfen, was aber nicht einfach eine Spielerei war, sondern eine taktisch komplizierte kriegerische Auseinandersetzung, die eine einfallsreiche Strategie erforderte.